Über den Sommer war die Corona-Pandemie aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verschwunden: Die Zahl der akut Erkrankten ist merklich zurückgegangen und viele berichten eher von erkältungsähnlichen Symptomen. Wenn Erkrankte allerdings nach einer überstandenen Corona-Infektion nicht wieder auf die Beine kommen oder sich plötzlich neue Symptome einstellen, spricht man von Long- oder Post-COVID. Allein in Deutschland gehen Wissenschaftler von mindestens einer Million Betroffenen aus.
Manche Patienten, die an Long-/Post-COVID erkrankt sind, haben auch noch Wochen und Monate nach der eigentlichen Infektion Beschwerden und Schwierigkeiten, wieder in den Alltag zurückzufinden. Die Behandlung von Long-/Post-COVID-Patienten beinhaltet oft das Zusammenspiel verschiedener Professionen im Gesundheitswesen – auch die Physiotherapie spielt dabei eine wichtige Rolle.
Eine Krankheit, viele Symptome
Wenn nach einer Corona-Infektion gesundheitliche Einschränkungen noch länger als vier Wochen anhalten oder neue hinzukommen, spricht man von Long-COVID. Die Bezeichnung Post-COVID beschreibt Beschwerden, die mehr als zwölf Wochen nach einer Infektion mit dem Corona-Virus bestehen bleiben oder im Zusammenhang damit neu auftreten. Die Symptome von Long- und Post-COVID können je nach Patient und Krankheitsverlauf sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. „Die Forschung ist in diesem Bereich noch am Anfang, aber wir wissen mittlerweile aus verschiedenen Quellen, dass sich einige Symptome von Long- und Post-COVID mit Physiotherapie behandeln lassen“, so Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten – IFK e. V. und selbst Physiotherapeutin.
Häufige Beschwerden sind beispielsweise Atembeschwerden, die bei körperlicher Aktivität auftreten, eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit oder eine schnelle und ausgeprägte Erschöpfung, Fatigue genannt. Nehmen die Beschwerden bereits nach kleinerer Anstrengung deutlich zu und können auch durch Erholung und Schlaf nicht gelindert werden, spricht man von einer Post-exertionellen Malaise (PEM) oder Belastungsintoleranz. Auch Muskel- und Gliederschmerzen, Kopfschmerzen sowie Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns können als Folge einer Corona-Infektion auftreten.
„Interessant ist, dass die Stärke der Symptome bei Long- oder Post-COVID nicht zwingend in Zusammenhang mit der Schwere der Beschwerden bei der akuten Corona-Infektion stehen müssen“, erklärt Repschläger. „Selbst wenn die Corona-Infektion mild verlaufen ist, kann sich eine Long- oder Post-Covid-Erkrankung einstellen.“
Das richtige Maß
Bei einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit muss die Therapie individuell an den Patienten angepasst werden. Dies ist besonders relevant, wenn eine Belastungsintoleranz vorliegt, damit es nach der Behandlung nicht zu einer Symptomverschlechterung kommt. Die Orientierung an den eigenen Belastungsgrenzen und das Belasten unterhalb dieser wird „Pacing“ genannt. „Es ist für die Patienten wichtig, zu erkennen, wo ihre Belastungsgrenzen liegen. Beim Pacing führt man stets weniger Aktivitäten aus, als man Energie zur Verfügung hat. Das ist nicht nur während der Physiotherapie, sondern auch im Alltag essenziell. Körperliche Bewegung allgemein und gezielte Übungen für den Bewegungsapparat im Speziellen bleiben aber weiter wichtig für die Gesundheit. Kurze Übungseinheiten sind dabei besser geeignet als lange“, erläutert die IFK-Vorstandsvorsitzende.
Die Physiotherapie
Nicht nur Fachärzte (zum Beispiel Lungenfachärzte und Orthopäden), sondern auch Allgemeinmediziner können eine Verordnung für eine physiotherapeutische Behandlung bei Long- und Post-COVID ausstellen. Verordnet wird beispielsweise Krankengymnastik, gerätegestützte Krankengymnastik oder Manuelle Therapie. Hinzu kommen gegebenenfalls ergänzende Heilmittel, wie Wärmetherapie mit der heißen Rolle (Behandlung mit feuchtwarmen Tüchern). Durch die unterschiedlichen Symptome, die bei einer Long- oder Post-COVID-Erkrankung auftreten können, muss die Therapie individuell angepasst werden.
Bei Atemproblemen oder anhaltendem Husten, beispielsweise nach einer Corona-Infektion mit Beatmung auf einer Intensivstation oder einer langfristigen Schädigung der Lunge, kann Atemtherapie helfen, die Symptome zu lindern. Dabei führt der Therapeut gezielte Griffe durch, um das Bewusstsein des Patienten für die Atmung zu fördern, das Zwerchfell zu entspannen oder die Rippen zu mobilisieren. Der Patient spürt seiner Atmung nach und erlernt beispielsweise die Brust- und die Bauchatmung. Auch Hustentechniken, um das Abhusten von den Bronchien zu erleichtern, werden geübt.
Bei Patienten mit einer Belastungsintoleranz werden in der physiotherapeutischen Behandlung vor allem Entspannungsübungen, Wahrnehmungsschulungen und Atemtherapie durchgeführt. Auch kleine Übungsprogramme werden zusammen mit dem Patienten erarbeitet. Wichtig ist dabei, dass der Therapeut beachtet, welche körperlichen Kapazitäten der Patient hat. Auch das selbstständige Führen von Pacing-Protokollen und Symptomtagebüchern, um die Grenzen der eigenen Belastbarkeit im Blick zu behalten, ist im Rahmen der physiotherapeutischen Behandlung dieser Patienten sinnvoll.
Individuelle Behandlung wichtig
Nicht jeder Long- oder Post-COVID-Patient hat eine Belastungsintoleranz. Je nach individuellem Krankheitsverlauf kann die Physiotherapie daher auch einen Schwerpunkt auf das Training von Kraft und Ausdauer legen. Gerade Patienten mit langer Bettlägerigkeit benötigen in der Regel ein klassisches Rehabilitationsprogramm mit einer kontinuierlichen Steigerung der Belastung. Hier hilft der Therapeut bei der angemessenen Dosierung des Trainings. Auch Koordination und Gleichgewicht müssen in diesen Fällen häufig geschult werden.
„In der Physiotherapie, besonders auch bei der Behandlung von Long- und Post-COVID-Patienten, ist es wichtig, individuell auf die Symptome und Bedürfnisse der Patienten einzugehen“, schließt die IFK-Vorstandsvorsitzende Repschläger.
Bei der Suche nach einem Physiotherapeuten hilft der IFK gerne weiter. Dazu können Patienten die IFK-Therapeutensuche nutzen.